Kulturlabor: Gähn…ein Heimatmuseum!?

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Was hat Neu-Isenburg in Sachen Kultur zu bieten und wer ist dafür zuständig? Wie kann das kulturelle Angebot noch bereichert werden? Wo kann die Politik unterstützen? Mit diesen Fragen möchte sich die nagelneue AG ‚Kulturlabor’ beschäftigen, die von Kati Conrad gegründet wurde und gestern zum ersten Mal zusammenkam. Mitglieder der Partei und der Fraktion sind eingeladen, die Kulturschaffenden in unserer Stadt besser kennenzulernen, Kultur-Orte zu besuchen und sich auch über die Stadtgrenzen hinaus inspirieren zu lassen.

Zum Auftakt der Reihe traf die AG sich unter dem Motto ‚Gähn…ein Heimatmuseum!?‘ im Stadtmuseum ‚Haus zum Löwen‘, wo Museumsleiter Christian Kunz diesmal nicht vom Grafen Jean-Philippe und der Stadtgeschichte berichtete, sondern einen unterhaltsamen Blick hinter die Kulissen der Ausstellungen und in seine Arbeit gab. 

Rundgang durchs Museum

Das ‚Haus zum Löwen‘ war ursprünglich das erste Gasthaus Neu-Isenburgs, und so starteten wir passend dazu mit unserem Rundgang in der Apfelweinstube. Wir inspizierten den Musiksaal, in dem bei Konzerten bis zu 95 Besucher Platz finden können und warfen einen letzten Blick in die gerade beendete Ausstellung des Stadtfotografen Daniel Falke. In der Dauerausstellung lernten wir dann einige interessante Objekte kennen, zum Beispiel:

Das Portrait unseres Stadtgründers Graf Jean-Philippe hängt normalerweise im Marstall des Birsteiner Schlosses. Unser Stadtmuseum hatte das Ölgemälde gerade von dort ausgeliehen, um eine Kopie anfertigen zu lassen, als ein Brand in diesem Bereich des Schlosses viele wichtige Objekte und Kunstwerke zerstörte. Wir Neu-Isenburger haben also unseren Stadtgründer vor den Flammen gerettet!

2020 kam eine mysteriöse Sammlung von Objekten ins Museum, die beim Abriss einer Mauer in einem Haus in der Hirtengasse entdeckt worden war: ein einzelner Kinderschuh, ein einzelner Frauenschuh, zwei einzelne Männerschuhe, ein Zunderschwamm und ein Katzenskelett. Nachforschungen ergaben, dass zwischen 1200 und 1850 im Rhein-Main-Gebiet 150 solcher Sets gefunden wurden. Alle Funde markierten Schwachstellen im Gebäude und man vermutet ein Schutzritual, der genaue Hintergrund ist bis heute unbekannt.

Und dann war da noch das Rätsel um die Wurst: Warum schrieb Wilhelm Luft einfach nur ‚Frankfurter Würstchen‘ auf seine Dosen, während die Hersteller Wirth und Müller sie als ‚Original Frankfurter Würstchen aus Neu-Isenburg bei Frankfurt‘ kennzeichnen mussten? Eine in Neu-Isenburg gerne weitererzählte urbane Legende besagt, dass für die Kennzeichnung als ‚Frankfurter Würstchen’ mindestens ein Arbeitsschritt in Frankfurt erfolgen muss und dass vermutlich ein Mitarbeiter der Firma Luft auf den Lieferwagen kletterte und die Etiketten jenseits der Stadtgrenze vor der Auslieferung noch schnell auf Frankfurter Gebiet auf die Dosen klebte. Als die ehemalige Wurstfabrik Luft (später das Branntweinmonopol) kürzlich im Rahmen der Bauarbeiten zum neuen Stadtquartier Süd in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte, wurde der Stadt eine Sammlung von Fotos aus einem Nachlass angeboten, die genau das bestätigten: die Würstchendosen wurden tatsächlich zum Etikettieren nach Frankfurt gefahren!

Hinter den Kulissen

Im Depot des Museums werden Objekte eingelagert, die aktuell in keiner Ausstellung zu sehen sind. Jedes einzelne Objekt wird katalogisiert, fotografiert und mit einer Nummer versehen, bevor es ins Regal wandert. Neben vielen Haushaltgegenständen, Schildern, Werkzeugen und Möbeln entdeckten wir hier auch ein weiteres Modell des Alten Rathauses (eins steht in der Dauerausstellung), die Spitze des historischen Original-Rathauses und ein sehr interessantes Modell eines Entwurfs für einen Marktplatz-Brunnen, den der Neu-Isenburger Maler Willi Kohl bereits in den 60er oder 70er Jahren angefertigt hatte. Der monumentale Brunnen mit Wasserspielen scheint fast den gesamten Platz einzunehmen, auf der Spitze thront ein großes Modell des Hugenottenrathauses. Mit Christian Kunz hatten wir uns bereits im letzten Jahr darüber unterhalten, welche Gestaltung des Marktplatzes aus Sicht des Museums optimal wäre. Er erläuterte uns gestern nochmals, dass aus stadthistorischer Sicht eine romantische Rückbesinnung zu Altem zwar nachvollziehbar sei, dass eine Stadt aber immer von natürlicher Weiterentwicklung lebt. Aus museumspädagogischer Sicht wäre eine Gestaltung wünschenswert, bei der für Führungen und Rundgänge die Sichtachsen erhalten bleiben. Und für den Kulturbereich der Stadt Neu-Isenburg gilt: Auch in Zukunft wird für die beliebten Märkte und Feste ausreichend freie Fläche auf dem Marktplatz benötigt. 

Alles schon mal dagewesen. 🙂

Museum und Politik

Nach dem Rundgang durchs Museum saßen wir noch bei einem Glas Wein zusammen und diskutierten die politischen Aufgaben eines Museums. Neu-Isenburg ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort, der sich dank der hohen Gewerbesteuereinnahmen auch im Bereich Kultur vieles leisten kann, was in anderen Kommunen nicht möglich ist. Umgekehrt macht ein attraktives Kulturangebot eine Stadt auch als Wohnort und Wirtschaftsstandort attraktiv. 80% aller Museen in Deutschland sind Heimatmuseen, viele davon sind vorübergehend geschlossen oder in ihren Öffnungszeiten aus Geld- oder Personalmangel extrem eingeschränkt. Aber leisten wir uns mit unseren zwei Museen wirklich etwas Besonderes, ist ein Museum ein Luxusobjekt?

Deutschlandweit verfügt eine Stadt mit 40.000 Einwohnern im Durchschnitt sogar über drei Museen. Die Besucherzahlen im Haus zum Löwen haben sich seit 2016 verdoppelt, das Modell ‚Zahle, was Du willst‘ brachte nicht nur höhere Einnahmen bei den Eintrittsgeldern sondern schaffte auch einen niederschwelligen Zugang für alle Bürger. Das Zeppelinmuseum ist nach Friedrichshafen weltweit das zweitwichtigste Museum zu diesem Thema, das ‚Haus zum Löwen‘ das momentan modernste hessische Museum zum Thema Hugenotten. In partizipativen Ausstellungen (z.B. die vergangene Ausstellung ‚Jugendorte’ und die geplante Ausstellung ‚Verein(t)‘) wird die Stadtgesellschaft aktiv in die Museumsarbeit einbezogen und aufgefordert, sich zu beteiligen. Gerade ein Heimat- oder Stadtmuseum kann also dazu beitragen, die Verbindung der Bewohner zu ‚ihrem‘ Ort zu stärken. Wer sich verbunden fühlt, bleibt gerne hier wohnen und arbeitet auch gerne hier. 

Das Museum als Dritter Ort

Im Zusammenhang mit dem Umbau der Hugenottenhalle hören wir den Begriff ‚Dritter Ort‘ gerade ziemlich oft. Darunter versteht man einen Ort an dem man nicht wohnt (erster Ort) und nicht arbeitet (zweiter Ort) sondern die Freizeit verbringt, Angebote wahrnimmt, sich weiterbildet. Folgende Merkmale machen laut Christian Kunz einen Dritten Ort aus: Der Ort ist auf Dauer angelegt, er ist einfach, niedrigschwellig und barrierefrei erreichbar. Er verfügt über eine einladende Atmosphäre, geeignete Öffnungszeiten und eine gute technische Grundausstattung. Bürger finden dort vernetzte kulturelle Angebote vor, bei denen die Bürger beteiligt werden, der Ort ist außerdem in die Stadtentwicklung eingebunden und weist eine nachhaltige Verantwortungsstruktur (wie es z.B. bei städtischen Einrichtungen der Fall ist) auf. Das Stadtmuseum erfüllt bereits heute all diese Kriterien, lediglich die Öffnungszeiten sind noch eingeschränkt. Seit letztem Jahr wurde das Zeppelinmuseum (aktuell Freitag, Samstag und Sonntag offen) in den Ferien probeweise jeden Tag geöffnet und es zeigte sich, dass dieses Angebot gut angenommen wird und die höheren Personalkosten gedeckt werden können.

Die Politik kann helfen, die Museen sichtbarer zu machen und auf einem aktuellen Stand zu halten. Durch das Programm ‚Digitale Dorflinde‘ sind beide Neu-Isenburger Museen mit freiem WLAN ausgestattet. Konzerte oder kleines Partys (wie kürzlich zur Finissage des Stadtfotografen) laden dazu ein, im Museum zu verweilen, auch ohne sich über Geschichte zu informieren. In der Apfelweinstube kann man gemütlich sitzen, recherchieren, plaudern. Mit besseren Öffnungszeiten kann das Museum zu einem Treffpunkt im Alten Ort werden, für Arbeits- und Lerngruppen offenstehen und vielleicht sogar mal das Home Office ersetzen. 

Per WhatsApp schickte unser Fraktionsvorsitzender Oliver Hatzfeld die Frage in die Runde, ob Museumsarbeit so ähnlich ist, wie wir es von Indiana Jones kennen. Die ganz klare Antwort von Christian Kunz: Ja, es ist genauso aufregend…aber weniger gefährlich.

Für unsere nagelneue AG war dieser erste Abend sehr spannend und informativ, auch wenn wir aufgrund einer Terminüberschneidung nicht vollzählig waren. Wir freuen uns auf unser nächsten Treffen nach den Ferien. Für den tollen Abend bedanken wir uns bei Christian Kunz.

[Kati Conrad]

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