Zwei Dritte Orte – Exkursion in die Niederlande

Die meisten Neu-Isenburger haben es inzwischen mitbekommen: Eins der nächsten großen und langfristig geplanten Projekte in unserer Stadt ist der Umbau der Hugenottenhalle und der Stadtbibliothek zu einem Kultur- und Bildungszentrum, in dem auch die Volkshochschule und die Musikschule einen Platz finden sollen. Als Nächstes steht hier ein Architekturwettbewerb auf dem Programm, für den tatsächlichen Baubeginn ist der Januar 2026 vorgesehen. Herauskommen soll ein sogenannter Dritter Ort – ein Platz, an dem wir weder wohnen (erster Ort) noch arbeiten (zweiter Ort), sondern uns in der Freizeit aufhalten, uns weiterbilden, kreativ werden und Kontakte knüpfen.

In den Niederlanden gibt es bereits einige solcher Zentren, und so wurden die Mitglieder des Ausschusses für Kultur, Sport, Ehrenamt und Vielfalt (KUSPOEV), des Magistrats und des Ältestenrates eingeladen, zwei Einrichtungen zu besuchen, Anregungen zu erhalten und vor Ort Fragen zu stellen. Für die CDU-Fraktion nahmen Bettina Blüchardt und Thorsten Klees teil, außerdem Kati Conrad, die Verfasserin dieses Berichts. Für den Magistrat war von der CDU der Erste Stadtrat Stefan Schmitt an Bord. Auch unser Bürgermeister und Kulturdezernent Gene Hagelstein durfte natürlich nicht fehlen. Organisiert wurde die Fahrt von Christopher George, Leiter des Fachbereichs 43 (Kultur- und Bildungszentrum, Stadtbelebung und Hallenmarketing).

In einem kleinen schwarzen Bus reisten wir gut gelaunt montags am Rathaus ab, gegen 16:00 erreichten wir unser erstes Ziel:

‚Cultura‘ in Ede

Eine Bibliothek, ein Theater, eine Galerie, eine Musikschule, ein Kunstzentrum, ein Makerspace und ein Café bilden auf etwa 10.000 Quadratmetern gemeinsam das Zentrum für Kunst und Kultur in Ede. Die Kernstadt hat etwa 70.000 Einwohner, alle Stadtteile zusammen 120.000. Unter der kreativen Leitung des Architekten Aat Vos, Spezialist für die Umgestaltung von Bibliotheken, Theatern, Kulturhäusern wurde ‚Cultura’ in zu einem modernen Dritten Ort umgebaut. Alle Bereiche arbeiten hier zusammen, die räumliche Trennung ist aufgehoben – doch bis hin zum echten interdisziplinären Arbeiten war es ein jahrelanger Prozess, erzählte uns der Leiter des Weiterbildungsbereichs Rutger Schehrer. In einer umfangreichen Führung besichtigten wir Bereiche der Bibliothek, das Café, eine Töpferwerkstatt, ein Maler-Atelier, die kleine Studiobühne und (heimlich bei einer Generalprobe) das Theater. Auch das Back-Office, die Garderoben und individuell gestaltete Besprechungsräume für verschiedene Anforderungen gehörten dazu. 21,7% aller Einwohner sind Mitglied des Zentrums. Umgerechnet auf Neu-Isenburg wären das über 8.600 Personen.

Interessant ist die Struktur bei den Mitarbeitern. 70 Personen arbeiten fest in den verschiedenen Bereichen des Kulturzentrum, sie werden aber unterstützt von unglaublichen 250 freiwilligen Helfern, die ehrenamtlich oder im Rahmen von Praktika mitarbeiten. Für uns in Neu-Isenburg momentan noch unvorstellbar, aber unser künftiges Kultur- und Bildungszentrum wird sicher nach der Fertigstellung ebenfalls ein attraktiver und inspirierender Arbeitsplatz für Kulturbegeisterte aus der Umgebung sein. 

Inspiriert von den vielfältigen Eindrücken checkten wir abends im Hotel ein und saßen noch bei einem leckeren Abendessen zusammen. Dann ging es in Bett, denn gleich am nächsten Morgen fuhren wir weiter zum…

HUB’ in Kerkrade

Auch bei diesem Umbau eines Theaters und einer mit Wohnungen überbauten Ladenpassage zu einem Kulturzentrum war Aat Vos an der Konzeption beteiligt. Auf etwa 5.000 Quadratmetern arbeiten eine Bibliothek, ein Theater, eine Musikschule und noch weitere kulturelle Partner seit 2018 interdisziplinär zusammen. Auch hier ist die Architektur offen und modern, mit vielen originell gestalteten Nischen zum Arbeiten, Lesen oder Reden. Der Bezug zur Kohlebergbau-Geschichte der Region wird an verschiedenen Stellen aufgegriffen, wie zum Beispiel durch Lesekabinen in Bergbau-Aufzügen. Die Kernstadt in Kerkrade ist mit 35.000 Einwohner etwa mit Neu-Isenburg vergleichbar, inklusive aller Stadtteile sind 95.000 Personen potentielle Nutzer des Kulturzentrums. Die Gemeinde Kerkrade unterstützt das Zentrum finanziell, stellt aber auch hohe Anforderungen wie zum Beispiel die Durchführung von insgesamt 850 Veranstaltungen pro Jahr.

In diesem Zentrum fällt der Fokus auf eine soziale Komponente auf. Die Mitarbeiter bieten zum Beispiel Beratungen in Finanzangelegenheiten an, verschiedene Gruppen treffen sich regelmäßig, die Teilnehmer/innen unterstützen sich gegenseitig beim Deutschlernen oder tauschen sich über Businesspläne aus.

Auch hier fällt die große Zahl an freiwilligen Helfern auf, etwa 135 Personen sind ehrenamtlich am Start, außerdem etwa 40 Festangestellte, verteilt auf insgesamt 9 Außenstellen, die zur Bibliothek gehören.

Zusammenfassung

Die Reise in die Niederlande war spannend und informativ, wir alle schauten uns mit unserem eigenen fachspezifischen Blick (Kulturangebot, Finanzen, Bauplanung, etc.) um und konnten uns anschließend in vielen Gesprächen darüber austauschen. Die inhaltlich wichtigste, aber auch schwierigste Herausforderung scheint die Vernetzung der verschiedenen Bereiche untereinander zu sein. In Ede antwortete man uns auf die Frage, wie lange es denn gedauert habe, bis die Zusammenarbeit sich perfekt eingespielt hatte mit „Zehn Jahre!“. Neben simplen organisatorischen und logistischen Fragen (wie zum Beispiel in Kerkrade: Wie werden die Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Cafés auf die einzelnen Bereiche verteilt?) müssen alle Beteiligten lernen, das Kulturzentrum als eine Einheit zu verstehen. Einrichtungen, die im Falle von Neu-Isenburg seit Jahren oder sogar Jahrzehnten vollkommen voneinander unabhängig arbeiten, sollen sich nun vermischen. Gemeinsam planen, gemeinsam denken, aber dennoch ein individuelles Profil bewahren und Fachkompetenz ausstrahlen. Eine klare Definition der Zuständigkeiten wird hier unerlässlich sein, damit alle Stakeholder ihre Interessen repräsentiert sehen.

Die barrierefreie Vermischung der verschiedenen Bereiche bei der Inneneinrichtung scheint da bedeutend einfacher zu sein als die funktionale Verbindung. Während einige Räume ganz bestimmten Nutzungen vorbehalten sind (Töpferwerkstatt, Probenräume für Musiker), gibt es unzählige Bereiche, die von allen genutzt werden können: Sitzecken, Galerie, Besprechungsräume, das Café, die Bühne, Computerarbeitsplätze. In beiden Zentren wurden das Konzept einer klassischen Bibliothek aufgelöst, Regale mit Büchern sind überall im Gebäude verteilt und mit Rollen oder Scharnieren flexibel nutzbar. Und so stolpert der Gast der Bibliothek auch mal in ein Konzert der Musikschule, der Besucher des Theaters betrachtet in der Pause eine Fotoausstellung. Kunst und Kultur können ganzheitlich erlebt werden.

In Neu-Isenburg steht für das geplante Kultur- und Bildungszentrum inklusive aller Nebenflächen mehr Platz zu Verfügung, als es bei den beiden besichtigten Zentren der Fall ist: etwa 15.000 Quadratmeter bei einer geringeren Einwohnerzahl (40.000) als in Ede und Kerkrade. Von einem Leuchtturmprojekt für die Region zu sprechen, ist also nicht übertrieben. Der fertiggestellte Dritte Ort wird Neu-Isenburg auch als ersten (wohnen) und zweiten (arbeiten) Ort attraktiver machen, darauf sollten wir uns einstellen. Ebenso darauf, dass die Reisebusse mit neugierigen Stadtverordneten aus ganz Europa zukünftig bei uns Station machen werden. Darauf können wir uns freuen.

RTW – kurz erklärt: Die Regionaltangenten sind in Planung befindliche S-Bahn-Linien, die die bestehenden, sternförmig auf Frankfurt ausgerichteten Bahnen der Region tangential miteinander verbinden und so neue Verbindungen und verbesserte Umstiegsmöglichkeiten schaffen sollen. Die Regionaltangente West (RTW) soll Neu-Isenburg über Höchst, den Flughafen und das Stadion schließlich mit Eschborn verbinden. In Neu-Isenburg selbst soll die Bahn vom Bahnhof entlang der Carl-Ullrich-Straße/Friedhofstraße vorbei am Isenburg Zentrum bis ins Birkengewann führen. 

[Kati Conrad]

You are currently viewing Zwei Dritte Orte – Exkursion in die Niederlande